Herwart Siegfried Opitz
Büste im WZL
AStA der RWTH
Dieser Artikel beschäftigt sich mit dem Werdegang der Person Herwart Opitz, seiner Rolle für das WZL und die RWTH, seinen Verstrickungen in den Nationalsozialismus sowie seine Rolle in Aufarbeitung und Erinnerungskultur der RWTH. Es geht darum, zu verstehen, warum seine Verstrickung in das NS-System sowohl von ihm als auch von der Hochschule lange Zeit verschwiegen wurde. Gleichzeitig geht es um die Frage, wie heute mit einer solchen Büste umgegangen werden kann. Die Person Herwart Opitz stellt Betrachtende dabei vor einige schwierige Herausforderungen, etwa die nach quellenbasierter Aufarbeitung und einem politischen Werturteil aus heutiger Sicht, oder der Abwägung individueller Schuld in einem System, das nicht zuletzt auch von vermeintlichen Mitläufern getragen wurde.
Ein kurzer Zeitlicher Abriss:
Herwart Opitz wird 1905 in Wuppertal geboren. Seine wissenschaftliche Karriere beginnt 1925 an der Technischen Hochschule München. 1928 absolviert er seine Diplomprüfung an der Technischen Hochschule Berlin und wechselt im Oktober 1928 als Assistent von Adolf Wallichs (damaliger Direktor des WZL) an das WZL. Dort promoviert er im Jahre 1930 mit einer Arbeit über die Zerspanbarkeit von Automatenstahl.5
Übergabe der Amtskette
HArch Aachen, AMA, 1968, S.22
Bildrechte: Foto-Preim , Aachen
Opitz Verstrickungen in den NS-Apparat und (Mit-)Schuld an nationalsozialistischen Verbrechen:
Die Beurteilung der Rolle von Herwart Opitz im NS-System und die Bewertung seiner persönlichen Schuld ist aufgrund der lückenhaften Quellenlage schwierig. Einerseits ist seine Mitgliedschaft in zahlreichen NS-Organisationen belegt, andererseits fehlen Zeugnisse zu seinem persönlichen Verhalten und seiner ideologischen Einstellung völlig.
Opitz bei einer Rede
HArch Aachen, 3.2.8_ai
Als Leiter des WZL richtet er dessen Aufgaben auf die Bedürfnisse des Krieges aus. Man arbeitet mit staatlichen Auftraggebern zusammen, forscht an Themen, die für die Aufrüstung relevant sind und bezieht seine Förderungen u.a. aus dem „Reichsforschungsrat“. Durch seine Mitgliedschaft in den obengenannten verschieden NS-Organisationen sichert er wohl den Fortbestand des WZL und die Möglichkeit, weiterzuarbeiten und zu forschen.30 Darüber hinaus sind Opitz und das WZL erheblich an der Rüstungsforschung beteiligt. Er wird beispielsweise 1943 zum Leiter des Arbeitskreises M im Hauptausschuss für Panzerwagen und Zugmaschinen ernannt.31 Das WZL ist für Rüstung und Krieg so wichtig, dass Opitz zu Kriegsbeginn als unabkömmlich gilt. Er besteht für seine Mitarbeiter auf die gleiche Unabkömmlichkeit, sodass diese nicht an die Front müssen.32 Dieser „Schutz“ vor einem Kriegseinsatz kann kaum als ein Akt der Nächstenliebe gegenüber seinen Mitarbeitenden oder als Widerstand gegen den Nationalsozialismus gewertet werden. Das WZL beschäftigte sich insbesondere mit Rüstungsforschung. Die Unabkömmlichkeit seiner Mitarbeitenden war also essenziell für den Erhalt der Rüstungsforschung am WZL, welches für die nationalsozialistische Führung hohe Priorität hatte. Es handelt sich hierbei wohl weniger um ein besonderes Engagement für seine Mitarbeiter als vielmehr um eine Sicherung der eigenen Position und der eigenen Forschung sowie des NS-Rüstungsapparates.
Cornelia Kompe führt in ihrer Dissertation Aussagen von Zeitzeugen auf, die berichten, Herwart Opitz habe verboten, Uniform zu tragen oder sich politisch zu äußern. Ulrich Kalkmann hält ein solches Verbot für „im Dritten Reich so gut wie nicht durchsetzbar“, da viele von Opitz Kolleg*innen ebenfalls in der SA und NSDAP waren.33 Er vermutet Zweckmäßigkeit hinter dem Verbot. Weitere Quellen für dieses Verhalten gibt es nicht. Eine Wertung als politische Stellungnahme ist deshalb zwar nicht endgültig auszuschließen, aber mit größter Vorsicht zu betrachten.
Das Entnazifizierungsverfahren von Opitz ist ebenfalls zu diskutieren. Opitz wird als Mittäter eingestuft und daraufhin entlassen. Er bekommt damit keine finanzielle Unterstützung und hat kein Recht auf Einspruch gegen dieses Urteil. Dies ist also eigentlich ein endgültiges Urteil, dennoch versucht Opitz mit allen Mitteln, wie beispielsweise einem Sondererlass des Sozialminister NRWs, eine Wiederaufnahme zu erreichen. Laut Krebs und Tschacher habe Opitz außerdem eine gefälschte KPD-Mitgliedschaft vorgewiesen, um diesen Prozess zu gewinnen.34 Nach zweimaliger Ablehnung durch die Militärregierung erreicht er sein Ziel dennoch. Er bekommt ein Entlastungszeugnis und darf damit wieder an der RWTH lehren. Diese Entscheidung muss allerdings im Kontext der damaligen politischen Situation gesehen werden. Die westlichen Alliierten fürchteten im beginnenden Ost-West-Konflikt den Verlust wichtiger Schlüsselpersonen und hochqualifizierter Wissenschaftler an die Sowjetunion. In der deutschen Gesellschaft und der neuen politischen Führung war das Bedürfnis nach vollständiger Aufarbeitung der NS-Zeit gering. Die begangenen Verbrechen wurden nicht aufgeklärt, nur selten wurden einzelne Täter verurteilt. Opitz wurde von allen politischen Parteien und den Gewerkschaften gestützt.35 Seine Mitgliedschaften in den nationalsozialistischen Gremien waren mindestens für sein Entnazifizierungsverfahren „minderbelast[…][end]“.36 Mit seiner Fälschung seines Lebenslaufes durch eine vorgebliche KPD-Mitgliedschaft macht sich Herwart Opitz der Vertuschung seiner Vergangenheit schuldig. Es ist anzunehmen, dass Opitz sich der Schwere seiner Verstrickungen bewusst war und versuchte, durch die Vortäuschung einer kommunistischen Parteizugehörigkeit seine Mitgliedschaften in den genannten Gremien zu relativieren. Opitz hat damit seinen Einreihungsbescheid nicht wegen fehlender, sondern trotz seiner Verstrickungen in den Machtapparat des Nationalsozialismus erhalten.
Opitz (r.) mit dem damaligen Rektor
HArch Aachen, 1.3.1_Kra 1
Mittäterschaft an konkreten Verbrechen ist ihm allerdings nicht nachzuweisen. Ebenso wenig gibt es Hinweise auf Opitz persönliche ideologische Überzeugungen. Lediglich seine gefälschte KPD-Mitgliedschaft zeugt von einer kriminellen Eigeninitiative, wenn auch nur, um seine eigenen Verstrickungen zu verschleiern.
Opitz Rolle in der öffentlichen Erinnerung und heutiger Umgang mit seinem Erbe:
Vor dem Hintergrund dieser schwierigen Gesamtlage stellt sich die Frage, warum eine Büste von Herwart Opitz noch heute im WZL steht. Die RWTH und insbesondere das WZL verdankten ihm viele Erfolge hinsichtlich ihrer Forschung, Entwicklung und Bekanntheit. Dem gegenüber steht seine Beteiligung in unterschiedlichen Bereichen der NS-Herrschaft.
Opitz‘ Entnazifizierungsbescheid lieferte zwar formal die Möglichkeit, seine Verstrickungen auszublenden, muss jedoch aus heutiger Perspektive äußerst kritisch gesehen werden. Immerhin zogen die Alliierten die gesellschaftliche Reintegration des „Mittelbaus“ des NS-Regimes einer lückenlosen Aufarbeitung und Verfolgung aller Angehörigen des Apparates vor und ermöglichte so auch überzeugten Nationalsozialisten sich wieder in die „entnazifizierte“ Nachkriegswelt einzugliedern.47 Weder unter den Alliierten noch in der neu gegründeten Bundesrepublik bestand Interesse an einer vollumfänglichen Aufarbeitung der NS-Zeit und dem Anteil einzelner, insbesondere erfolgreicher und systemtragender Persönlichkeiten. Wissenschaftliche Bedeutung zählte hier mehr als die Entnazifizierung der RWTH. Wie jemand mit einer derart undurchsichtigen Vergangenheit im Nationalsozialismus wieder eine Lehrerlaubnis und damit eine Führungsposition an einer der wichtigsten technischen Hochschulen des Landes bekommen konnte, ist aus heutiger Sicht wenig nachvollziehbar.
Seit den 2000ern ist die RWTH stärker um eine Aufarbeitung ihrer Vergangenheit bemüht.48 Dabei bewegt sie sich in dem Spannungsverhältnis, die lange Zeit vorhandenen Lücken in Bezug auf die eigene NS-Vergangenheit zu schließen, aber auch die Erfolge der RWTH und der betroffenen Personen wie Herwart Opitz nicht auszublenden. Eine solche historische differenzierte Betrachtung ist wichtig, um zu verstehen, warum die Hochschule wie auch Großteil der deutschen Nachkriegsgesellschaft lange Zeit untätig blieb und keine Aufklärung ihrer Vergangenheit vorantrieb. Ein derartiges Verschweigen ist aus heutiger Sicht einer differenzierten Erinnerungskultur nicht mehr angemessen. In diesem Sinne dient der Umgang der Institution RWTH sowie des WZLs mit dem Erbe der Person Herwart Opitz als Beispiel für die Fehler, Versäumnisse und das systematische Verschweigen der eigenen Verstrickungen in den Nationalsozialismus. Für das Selbstverständnis dieser Hochschule ist es wichtig, an ihre Fehler ebenso wie an ihre wissenschaftlichen Errungenschaften zu erinnern, um nicht in einer „Erinnerungskultur des Verdrängens“ zu leben.49 Vielmehr muss darauf aufmerksam gemacht werden, dass sich wissenschaftlicher Erfolg und NS-Verbrechen eben nicht gegeneinander aufwiegen lassen und es zur historischen Verantwortung Deutschlands und der RWTH gehört, dem eigenen Erbe gerecht zu werden. Dass die RWTH mit einem solchen Umgang kein Einzelfall, sondern viel mehr charakteristisch für die gesamte westdeutsche Nachkriegsgesellschaft ist, verdeutlicht einmal mehr die Defizite, die die deutsche erinnerungskulturelle Aufarbeitung der NS-Zeit bis in die Gegenwart hinein aufweist.50
Die Statue am WZL
AStA der RWTH
Es ist also aus dieser Perspektive nicht verwunderlich, dass die Büste Gegenstand kontroverser Diskussionen ist. Im Umgang mit dieser Büste stellen sich Fragen nach dem gesellschaftlichen Umgang mit dem Erbe des Nationalsozialismus, die wir an dieser Stelle weder beantworten wollen noch beantworten können. Daher müssen folgende Fragen in späteren Diskussionen aufgegriffen werden:
Wie sind wissenschaftlicher Erfolg und problematische Vergangenheit zu bewerten? In welcher Weise trennt man diese richtig, kann man sie – wenn überhaupt – „richtig“ trennen? Und in welcher Art und Weise sollte die Büste einer solchen Persönlichkeit an der RWTH seinen Platz finden oder sollte diese besser entfernt werden?
Aachen den 31.08.2021 (mb,sh,sp)
Literatur:
Aachen, H. d. (kein Datum). Biographische Datenbank der RWTH Aachen. Abgerufen am 05. Januar 2021 von http://www.archiv.rwth-aachen.de/biographischedatenbank/
Broszat, Martin (1986), Der Staat Hitlers. Grundlegung und Entwicklung seiner inneren Verfassung, München.
Das WZL über sich. (kein Datum). Abgerufen am 23. November 2020 von https://www.wzl.rwth-aachen.de/cms/WZL/Das-WZL/Profil/~ceexv/Ueber-uns/
Herbert, Ulrich (2015), Holocaust-Forschung in Deutschland: Geschichte und Perspektiven einer schwierigen Disziplin, in: Frank Bajohr, Andrea Löw: Der Holocaust. Ergebnisse und neue Fragen der Forschung, Frankfurt a.M., S. 31-82.
Kalkmann, U. (2003). Die Technische Hochschule Aachen im dritten Reich (1933-1945). Aachen: Wissenschaftsverlag Mainz GmbH Aachen.
Kater, Michael (1981), Die nationalsozialistische Machtergreifung an den deutschen Hochschulen. Zum politischen Verhalten akademischer Lehrer bis 1939, in H.-J. Vogel et. al. (Hrsg.): Die Freiheit des Anderen. Festschrift für Martin Hirsch, Baden-Baden
Kompe, C. (2009). Zwischen Wissenschaft und Industrie – Mechanismen des Wissens- und Technologietransfers am Aachener Werkzeugmaschinenlabor von 1906 bis 2006. DIssertation. Aachen: Hochschularchiv der RWTH Aachen. Abgerufen am 12. März 2015
Krebs/Tschacher 2, (2006). Einige Anmerkungen zum biographischen Forschungsprojekt „Die Erinnerungskultur der RWTH Aachen und das Erbe der Vergangenheit“. Abgerufen am 30. Januar 2021 von http://www.archiv.rwth-aachen.de/wp-content/uploads/2012/03/Erinnerungskultur.pdf
Krebs/Tschacher, S. W. (2009). Vom Heldenkult zur Skandalbewältigung: Überlegungen zur akademischen Erinnerungskultur der RWTH Aachen 2009. Hochschularchiv der RWTH Aachen. Abgerufen am 12. März 2015
Lumsden, R. (2000). A Collector’s Guide To: The Waffen–SS. . Ian Allan Publishing
Rückblick des AWK. (kein Datum). Abgerufen am 25. November 2020 von https://www.awk-aachen.com/rueckblick/
Stein, G. (1984). The Waffen-SS: Hitler’s Elite Guard at War 1939–1945. Cornell University Press.
Verweise:
1Cornelia Kompe, „Zwischen Wissenschaft und Industrie Mechanismen des Wissens- und Technologietransfers am Aachener Werkzeugmaschinenlabor von 1906 bis 2006“, S. 92 & 168
2Kompe, S. 128f
3http://www.archiv.rwth-aachen.de/biographischedatenbank/ zuletzt aufgerufen am 05.01.2020
4Kompe, S 198ff
5Kompe, S 87f
6Kompe, S. 88 und 107
7Kompe, S. 88ff
8Stefan Krebs und Werner Tschacher, „Vom Heldenkult zur Skandalbewältigung“, S. 221
9Stein, S.297
10Kompe, S. 109
11Kompe, S. 151
12Kompe, S. 132f
13http://www.archiv.rwth-aachen.de/biographischedatenbank/ zuletzt aufgerufen am 05.01.2020
14Kompe, S. 167
15Kompe, S. 88 und 107
16Falter, S.475
17Hier folgt eine weitere Einordnung der SA, die wir nachreichen werden.
18Petter, S.569f
19Kompe, S. 108
20Kompe ,S. 107f
21Kompe, S. 109
22Lumsden, S. 109
23Stein, S.297
24Kompe, S. 88ff
25Kater, S. 49-75
26Kalkmann, S. 424
27Tschacher/Krebs, S.221 Fußnote 136 ein Zitat aus dem Vorlesungsverzeichnis 1939/40
28Kompe, S. 109
29Kalkmann, S. 61
30Kompe, S. 197
31Kompe, S. 118
32Kompe, S. 112
33Kalkmann, S. 408 Fußnote 1
34Krebs/Tschacher, S. 222
35Kompe, S. 128ff
36Krebs/Tschacher 2, S. 7
37Falter, S.484f
38Die Frage, wie das NS-System sich erhalten konnte und vom wem es konkret getragen wurde, ist in der Geschichtswissenschaft vielfach diskutiert worden. Dabei entwickelte sich zunehmend ein Verständnis, das weniger die einzelnen Hauptschuldigen, als vielmehr die Bedeutung weiter Teile der Gesellschaft als Mitläufer und indirekte Träger des Systems betont. Für einen knappen Forschungsüberblick zu diesem Thema vgl. Herbert, Forschungsüberblick, S.44; Beispielhaft für diese Forschungsrichtung vgl. Broszart, Der Staat Hitlers.
39Tschacher/Krebs, „Vom Heldenkult bis zur Skandalbewältigung“ S.221
40Kompe, S.151
41https://www.awk-aachen.com/rueckblick/ zuletzt abgerufen am 23.11.2020 13:00 Uhr
42Kompe, S. 153ff
43Kompe, S.152
44https://www.wzl.rwth-aachen.de/cms/WZL/Das-WZL/Profil/~ceexv/Ueber-uns/ zuletzt abgerufen am 23.11.13:00 Uhr
45Tschacher/Krebs, S.221
46Kreis/Tschacher 2, S.8
47Wolfrum, 2. Absatz
48Krebs/Tschacher, S. 226
49Krebs/Tschacher S. 221f
50Kreis/Tschacher 2 S.8