Heute vor 50 Jahren,
beschloss die sozialliberale Koalition unter Willy Brandt den sogenannten Radikalenerlass, der zum Ziel hatte, Bewerber*innen für den öffentlichen Dienst auf ihre Verfassungstreue zu überprüfen. Nach dem Beamtengesetz müssen diese sich stets zum Grundgesetz und der freiheitlichen-demokratischen Ordnung bekennen. Durch diesen Beschluss konnte für alle Bewerber*innen für den öffentlichen Dienst eine Regelanfrage an den Verfassungsschutz gestellt werden. Falls diese Anfrage verfassungsfeindliche Aktivitäten feststellte, wurde diese Person nicht in das Dienstverhältnis aufgenommen. Auch bereits im öffentlichen Dienst tätige Beamt*innen konnten auf diese Weise auf ihre Verfassungstreue überprüft werden. Das Gesetz wurde von der sozialliberalen Regierung eingeführt, um ihre Ost-Politik der Annäherung an die Sowjetunion und die DDR zu rechtfertigen, da die CDU geführte Opposition vor einer Unterwanderung durch extremistische Kräfte im öffentlichen Dienst warnte.
Öffentlich war der Beschluss sowohl gegen links- und rechtsextremistische Strömungen gerichtet. In der Praxis wurden aber vor allem Bewerber*innen und Beamt*innen aus dem linken Spektrum auf ihre Verfassungstreue überprüft. Kritiker*innen des Beschlusses sahen hier vor allem einen Angriff auf die Meinungsfreiheit, der statt die freiheitliche-demokratische Grundordnung zu schützten, einen Angriff auf diese darstelle. Weiterhin seien die rechtsextremistischen Strömungen nicht in gleicher Konsequenz verfolgt worden, wie die aus dem linken Spektrum. In einigen Berufen, die nur im öffentlichen Dienst ausgeübt werden konnten – beispielsweise der Lehrberuf an Schulen – kam eine negative Einschätzung des Verfassungsschutzes einem Berufsverbot gleich. Auch im Ausland wurde diese Praxis kritisiert. Besonders Frankreich, das zu diesem Zeitpunkt von einer linken Regierung geführt wurde, bezeichnete den Erlass als undemokratisch. An der Freien Universität Berlin kam es 1977 zu einem großen Streik gegen diese Praxis, der sich alle Hochschulen der Stadt anschlossen.
Bis zur Abschaffung der Regelanfrage wurden insgesamt 1,4 Millionen Personen durch den Verfassungsschutz geprüft, 1.100 Bewerber*innen nicht eingestellt und mehr als 11.000 Disziplinarverfahren gegen Beamt*innen eingeleitet. Ab 1985 wurde der Beschluss durch die Länder nach und nach aufgelöst. Betroffene klagen bis heute über ausbleibende Entschädigungen und eine vollständige Rehabilitierung. 2016 richtete Niedersachsen als erstes Bundesland eine Kommission ein, um die ausgesprochenen Berufsverbote aufzuarbeiten.
Aachen den 28.1.2022 (sp)